Laienpredigt von Bernd Adamski zum Gemeindesonntag am 4. September 2011 in der ref. Kirche Bonstetten.

Laienpredigt September 2011

Laienpredigt von Bernd Adamski zum Gemeindesonntag am 4. September 2011 in der ref. Kirche Bonstetten.

Predigt zum Gemeindesontag am 4. September 2011 von Bernd Adamski

Der Jäger, sagt man, sei ein Sünder,
weil selten er zur Kirche geht;
im grünen Wald ein Blick gen Himmel
ist mehr wert als manch falsch Gebet...


Liebe Gemeinde

Dieses Zitat stammt von einem ehemaligen Arbeitskollegen, der nach dem 2. Weltkrieg in der damaligen DDR aufwuchs, dem auf abenteuerliche Weise die Flucht aus Thüringen in den Westen gelang, der aber seine Familie zurücklassen musste und an dieser Trennung vermutlich zerbrochen ist.

Ich habe Herbert in den Jahren meiner Lehrzeit in den 60er Jahren kennen und schätzen gelernt und viele Gespräche mit ihm geführt. Von ihm habe ich erfahren, wie man sich damals hinter dem „Eisernen Vorhang“ mit den alltäglichen Gegebenheiten im „Arbeiter- und Bauernstaat“ irgendwie arrangieren musste, um zu überleben.

Herbert stammte aus einer bürgerlichen Familie, die es gewohnt war, sonntags zum Gottesdienst in die Kirche zu gehen, obwohl selbst dies von der staatlichen Obrigkeit stets mit Argusaugen beobachtet und eigentlich als „Werk des imperialistischen Teufels“ gegeisselt wurde. Unter die Kirchenbesucher mischten sich regelmässig Mitarbeiter der „Stasi“, die beim „Vater unser“ andächtig mitbeteten und die im Anschluss an den Gottesdienst erneut und wahllos Menschen verhafteten.

Herbert selber war passionierter Jäger, und er übte dieses Hobby auch nach seiner Flucht in den Westen aus. Seine leidvollen und sehr persönlichen Erfahrungen führten dazu, dass er nie wieder eine Kirche betrat.

Statt dessen führte er auf seinen Pirschgängen im Wald immer wieder Zwiegespräche mit Gott

- Warum lässt Du es zu, dass meine Familie und viele andere Menschen unter dem totalitären DDR-Regime dermassen leiden müssen?

- Warum lässt Du es zu, dass durch meinen Status als „Republikflüchtling“ auch meine Angehörigen geächtet und sozial in den Abgrund gestürzt werden?

Ausreiseanträge seiner Familie wurden regelmässig und geradezu genüsslich von den zuständigen Behörden abgelehnt. Wäre Herbert „reumütig“ zurückgekehrt, hätte ihm eine mehrjährige Haftstrafe gedroht.

Viele Jahre später erfuhr ich, dass Herbert ohne Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung unerwartet verstorben war. Seinen Angehörigen wurde nicht einmal die vorübergehende Ausreise zu seiner Beerdigung erlaubt.

Erst nach dem 6. November 1989, nach dem längst überfälligen Verschwinden von Mauer und Stacheldraht, wurde plötzlich alles ganz einfach, normal und vor allem selbstverständlich zwischen Ost und West. Herberts Familie habe ich leider nie kennen gelernt.

Ich bin selber ein religiös erzogener Mensch und glaube an unseren allmächtigen Vater im Himmel, obwohl auch ich mich manchmal fragen muss, warum er Kriege, Hungersnöte, familiäre Tragödien und vieles mehr, alles in Verbindung mit unermesslichem Leid für die Betroffenen, einfach zulässt.

Warum stirbt ein Familienvater bei einem Verkehrsunfall und lässt Frau und Kinder „einfach so“ allein zurück.

Warum erkrankt eine junge Mutter von zwei Kindern unerwartet an Brustkrebs? Jede medizinische Hilfe versagt. Sie stirbt „einfach so“.

Auch ich schätze die angenehme Atmosphäre eines Gottesdienstes, die wohltuenden Worte unserer Pfarrerin, die ihre Aufgaben in der Gemeinde als Auftrag sieht und ihr ganzes Herzblut dafür aufbringt, das gemeinsame Abendmahl, das „Vater unser“, oder all die vielen musikalischen Beiträge, an denen wir uns immer wieder erfreuen dürfen.

Noch mehr schätze ich jedoch die Stunden in Gottes freier Natur. Bei grossartigen Bergwanderungen, Schweiss treibenden Velotouren in der näheren und weiteren Umgebung und -ganz besonders- bei Wanderungen durch die Wälder geniesse ich jedes Mal die Schönheiten der Natur.

Insbesondere der Wald übt auf mich - egal in welcher Jahreszeit - immer wieder eine grosse Faszination aus. Das hängt mit Sicherheit nicht nur mit einer meiner grossen Leidenschaften (dem Pilzlen) zusammen.

Habt Ihr dort schon einmal einen Sonnenaufgang erlebt, wenn wie auf Kommando die Vögel des Waldes ihre Stimmen erheben und sich zu einem überwältigenden Gesangsfest vereinen?

Habt ihr schon einmal in den frühen Morgenstunden im Wald ein Reh, einen Dachs, einen Fuchs oder eine kleine Spitzmaus bei der Futtersuche beobachten dürfen?

Habt Ihr schon einmal im Wald (je nach Jahreszeit) die verschiedensten Düfte wahrgenommen? Bärlauch, Moos, feuchtes Laub, geschlagenes Holz oder die Vielfalt der Pilze? Selbst eine Stinkmorchel verströmt einen ganz besonderen, unnachahmlichen Duft.

Oder im Spätherbst auf einem Waldweg zwischen den Bäumen, wenn die Sonnenstrahlen den Nebel verdrängen und ein faszinierendes Gegenlicht erzeugen?

Das ist alles Teil der göttlichen Schöpfung. Und genau dann muss ich hin und wieder an Herbert denken, der meine Einstellung zur Natur offenbar doch sehr stark beeinflusst hat.

Ich kann in solch einem Augenblick ohne weiteres meine Schritte anhalten, den Atem beraubenden Anblick einfach nur geniessen und beten:

Danke, lieber Gott, dass Du diese Welt erschaffen hast und ich als ein winziger Teil davon alles so sehen und so erleben darf.

Unwillkürlich fällt mir dabei manchmal mein alter Freund Herbert ein. Früher dachte ich, was meint er eigentlich genau mit dem Satz:

Der Jäger, sagt man, sei ein Sünder,
weil selten er zur Kirche geht;
im grünen Wald ein Blick gen Himmel
ist mehr wert als manch falsch Gebet...


Heute verstehe ich ihn. Er hatte vollkommen Recht.

Amen.

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